Auch Sibirische Katzen haben schon ihre Erbdefekte…

Wie Gerüchte in die Welt gesetzt werden.

„Auch Sibirische Katzen haben schon ihre Erbdefekte… „

So las ich es erstmals fett gedruckt wie eine Überschrift in dem Buch KATZENZUCHT von Barbara Hickmann.

Welche dies den seien, bleibt der Text schuldig. Mich empörte so eine völlig ohne Zusammenhang und Erklärung in einem Buch veröffentlichte Behauptung.

Eines Tages stieß ich im Internet auf eine private Homepage, die diesen Satz aufgriff; ebenfalls fett gedruckt.
Das ist die Webseite: http://commandine.de/gesundheit_missbildungen.htm

„…Auch Sibirische Katzen haben schon ihre Erbdefekte…“

Auf dieser Homepage gibt es aber weitere Ausführungen:

…“Außer dem Kreislaufsystem kann auch das Zentralnervensystem Sitz einiger Defekte und Mißbildungen sein. Wir unterscheiden dort zum Beispiel Agenesie des Corpus Callosum, die hauptsächlich die Sibirischen Katzen betrifft und möglicherweise genetisch bedingt ist, aber glücklicherweise nur selten vorkommt…“

AHA!

Und was ist nun eine Agenesie des Corpus Callosum ?
Mal kurz gegoogelt:

Wikipedia gibt Auskunft:
„Die Corpus-callosum-Agenesie (Balkenagenesie) ist eine angeborene Fehlbildung des Gehirns, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Verbindung zwischen der rechten und linken Hirnhälfte, das Corpus callosum, fehlt oder stark unterentwickelt ist.“ kurz Balkenmangel genannt.

Zuallererst: Da steht „angeborene Mißbildung“, nicht „erbliche Mißbildung“. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Man denke nur bei Menschen an die schweren angeborenen Mißbildungen, die das Schlafmittel Contagan verursacht hat.
Aber das ist ja bei Katzenzüchtern normal, alles, was bei Geburt schon da ist, für erblich zu halten.
Bei Menschen scheint der Defekt recht häufig zu sein. Es gibt tatsächlich Hinweise auf Erblichkeit, allerdings kann er EINE unter vielen Auswirkungen einer ganzen Reihe von Syndromen sein.

So, und das soll also hauptsächlich bei Sibirischen Katzen“ vorkommen?

Also weitergegoogelt: „Balkenmangel Sibirische Katze“
und das hier gefunden:

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http://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-95074-2_17

„Vorkommen des Balkenmangels bei Tieren

Friedrich Unterharnscheidt M.D.,
Dr. med. Dieter Jachnik,
Dr. med. Hans Gött

Zusammenfassung

„Bei einer erwachsenen sibirischen Katze, die in ihrem Verhalten keine wesentlichen Auffälligkeiten gezeigt hatte, beschrieb Kisselawa (1934) aus dem zufälligen Sektionsbefund einen totalen Balkenmangel. Das Hirngewicht betrug 21, 8 g, im Vergleich zu etwa 28 g bei einer normalen Katze. Die Rinde des Occipitallappens war atrophisch, und zeigte Windungsanomalien; im Hinterhauptlappen fanden sich zahlreiche „skierotische Zellen“. Einen weiteren Fall von partiellem Balkenmangel der Katze schilderten Frauchiger u. Fankhauser.“

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Das muß man sich jetzt mal durch die Gehirnwindungen fließen lassen.
Die Fakten:

– im Jahre 1934 sezierte eine RUSSISCHE Wissenschaftlerin offensichtlich in Russland EINE erwachsene sibirische Katze (KLEINGESCHRIEBEN)
Die Rassebezeichnung Sibirische Katze gab es noch gar nicht. Er wurde erst um das Jahr 1990 für die langhaarigen Hauskatzen Russlands gefunden. Der Ausdruck „sibirische Katze“ besagt nicht mehr und nicht weniger, als eine geografische Herkunft. Das ist so, als würde man über ein Tier sagen “ Bei einer europäischen Katze wurde das und das festgestellt.“
-nur ein weiterer Fall dieses Defektes bei Katzen ist überhaupt belegt, den Namen nach zu urteilen, von deutschen Wissenschaftlern, also vermutlich an einer deutschen Katze.

Vielleicht soll man ja dann daraus schlussfolgern, dass auch bei der Deutschen Langhaarkatze oder der German Rex oder der deutschen Hauskatze dieser Defekt „Hauptsächlich“ vorkommt? Welch unsinnige Schlussfolgerung. Genauso unsinnig wie der Rückschluss auf hauptsächliches Vorkommen bei der Sibirischen Katze (GROSSGESCHRIEBEN).

Tatsächlich gibt es weder bei sibirischen, Sibirischen, deutschen oder Deutschlanghaarkatzen noch bei sonst irgendeiner Katze außer den im Artikel genannten beiden einen einzigen dokumentierten Fall dieses Defektes bei Katzen weltweit. Auch die beiden Fälle waren reine Zufallsbefunde. Ob es überhaupt irgendwo auf der Welt oder bei irgend einer Rasse ein gehäuftes Auftreten dieses Defektes gibt, hat nie jemand untersucht.

Wie

Aber man hängt der Sibirischen Katze ganz ungeniert eine spezielle Erbkrankheit an.

Nebenbeigesagt:

Natürlich gibt es, wie bei allen Katzen, auch bei Sibirischen Katzen vererbbare Defekte. Nur wurde bisher es keiner gefunden, der ausschließlich bei Sibirischen Katzen auftreten würde.

Hier die Quellenangabe zur Veröffentlichung von Kisselawa:

Kisselawa, Z. N.: Ein Fall von Balkenmangel bei der Katze. Anat. Anz. 78, 331 – 335 (1934)

Frage:
Ist es Dummheit oder Absicht, der Sibirischen Katze eine spezifische Erbkrankheit anzuhängen?
Die Betreiberin der Webseite züchtet Türkisch-Angora-Katzen. die Buchautorin züchtet Burma-Katzen; beides Rassen, die durchaus mit rassespezifischen Erbkrankheiten belastet sind.
Es steht zu vermuten, dass hier die „Haltet-den-Dieb-Methode“ eine Rolle spielt.